Warum du aufhören solltest, die Probleme deines Teams zu lösen

Es gibt diese Tage, an denen die Tür kaum stillsteht. Eine Mitarbeiterin schildert einen Konflikt, der zwischen ihr und einem Kollegen hätte geklärt werden sollen. Ein anderer erklärt detailliert, warum ein Projekt stockt – und blickt dich dabei erwartungsvoll an. Irgendwann merkst du: Du arbeitest nicht mehr an deinen eigenen Zielen, sondern an den Problemen anderer.
Das ist kein Zufall, sondern ein Muster. Es zeigt, dass du Verantwortung ernst nimmst, dass du zuhörst, dass du dich kümmerst. Doch es ist auch eine Falle. Eine, die dein Team schwächt, deine Energie verbraucht und dich davon abhält, das zu tun, wofür du eigentlich da bist.


Warum du zur ersten Anlaufstelle für Probleme wirst

Frag dich doch mal: welches Bild hast du von dir als Führungsperson?

Viele Führungskräfte übernehmen unbewusst eine Elternrolle. Sie werden zum Ventil für aufgestaute Emotionen, zur Instanz, die Partei ergreift oder zumindest Aufmerksamkeit schenkt. Manchmal geht es den Mitarbeitenden gar nicht um eine Lösung, sondern darum, sich durch das Aufbauschen von Problemen Beachtung zu verschaffen. Oder sie nutzen das Jammern als Strategie, um sich Arbeit vom Hals zu halten – ohne selbst aktiv werden zu müssen. Bevor du dich versiehst, ist - schwupp - die Verantwortung bei dir gelandet.

Wie ist es bei dir? Auf welche Trigger springst du an?

👉 Effizienzillusion und Lösungsdrang

Du hast wenig Zeit, und Effizienz ist dein oberstes Gebot. Wenn ein Mitarbeiter dir langatmig erklärt, warum etwas nicht funktioniert, dann wirst du innerlich schon ganz hippelig. Und du denkst dir: Wenn ich es schnell regle, ist das Thema erledigt. Kurzfristig mag das stimmen. Langfristig zahlst du jedoch einen hohen Preis.
Dein Team lernt, dass es nicht selbst denken muss – weil du es schon übernimmst. Du signalisierst unbewusst: „Ich traue euch nicht zu, das allein zu lösen.“ Und vor allem: Du trainierst dein Team darauf, Probleme zu eskalieren, statt sie selbst anzugehen.
Du bist nicht ohne Grund in deine Position gekommen. Du hast Erfahrung, Weitsicht, ein Gespür für Lösungen. Aber wenn du zu schnell antwortest, raubst du deinem Team die Chance, eigene Wege zu finden. Und das ist riskant – denn was passiert, wenn du mal nicht da bist?

Jammern ist oft ein Zeichen für fehlende Eigenverantwortung. Und die kannst du nicht durch noch mehr Lösungen von oben verordnen, sondern nur, indem du dein Team ermächtigst, selbst zu handeln.

👉 Die Harmonie-Falle

Oder vielleicht gehörst du zu den Menschen mit einem ausgeprägten Bedürfnis nach Harmonie und Ruhe. Konflikte stören das Gleichgewicht, also greifst du ein, glättest Wogen, vermittelst. Du willst gemocht werden. Du fühlst dich verantwortlich für den Frieden im Team.
Jammern wird zur Gewohnheit – weil es funktioniert. Es bringt Aufmerksamkeit, es entlastet kurzfristig, und es vermeidet die Mühe, selbst Verantwortung zu übernehmen. Dein Team lernt nicht, schwierige Themen auszutragen oder für die eigenen Bedürfnisse einzustehen. Doch was passiert wirklich? Wenn du ständig die Aufnahmestation für die Belastungen deines Teams bist, zahlt das auf deine eigene Überlastung ein. Aber auch du bist nur ein Mensch und kannst nur eine bestimmte Menge tragen, bevor du zusammenbrichst.

Es geht nicht darum, plötzlich alle Probleme abzublocken. Es geht darum, klüger zu reagieren. Hier sind ein paar Vorschläge, was du tun kannst.

 

Wie du Freiraum schaffst ohne dein Team im Stich zu lassen

1. Verantwortung zurückgeben – mit klugen Fragen

Wenn z. B. eine Mitarbeiterin mit einem Problem kommt, das in ihrem Verantwortungsbereich liegt, dann höre aktiv zu ohne zu unterbrechen. Nach 2 Minuten fragst du

  • „Was ist das konkrete Problem?“
  • „Was wäre ein erster Schritt, den du gehen könntest?“
  • „Was brauchst du konkret, um das umzusetzen?“

Der Effekt: Die Verantwortung bleibt bei ihr, aber sie fühlt sich nicht allein gelassen. Wichtig ist, beharrlich zu bleiben, bis konkrete Antworten auf dem Tisch liegen. Und die Jammerei verliert ihren Nährboden.

2. Auf offene Gesprächskultur pochen

Beschäftigt sich das Jammern und Beschweren in deinem Team vor allem mit dem Verhalten anderer, ohne dass die Betroffenen direkt angesprochen werden, deutet das auf eine unterentwickelte Konfliktkultur hin. Deine Mitarbeitenden sind dann nicht in der Lage, unangenehme Dinge selbst auf den Tisch zu bringen. Sie beschweren sich lieber hinter vorgehaltener Hand und legen die Sache dir in den Schoß.

Doch hier gilt: Du bist nicht die Schiedsrichterin, die Streits unter Kindern schlichtet. Ausgenommen bei schwerwiegenden Vorfällen wie Beleidigung oder Mobbing. Deine Aufgabe ist es nicht, die Klärung für sie zu übernehmen. Sonst verhalten sich deine Mitarbeitenden wie Kinder  und du bleibst in der Helferfalle gefangen.

  • Gib die Verantwortung zurück. „Hast du das Thema schon mit der betroffenen Person besprochen?“ Biete Unterstützung beim „Wie“ an, falls nötig. Wenn dein Team nicht weiß, wie es kritische Dinge ansprechen soll, sorg dafür, dass es das lernt. Etwa in einem Kommunikationsseminar. Aber: Du übernimmst nicht die Klärung für sie.
  • Gehe mit gutem Beispiel voran. Sprich direkt mit den Menschen, nicht über sie. Das zeigt: „Offenheit wird hier geschätzt. Konflikte gehören zum Arbeitsalltag und lassen sich klären, wenn man sie anspricht.“ So etablierst du eine Kultur, in der nicht hinter dem Rücken anderer geredet wird sondern miteinander.


Dein Team braucht dich nicht als Problemlöser, sondern als Ermöglicher

Jedes Mal, wenn du die Verantwortung zurückgibst, signalisierst du: „Ich vertraue dir. Ich weiß, dass du das schaffen kannst.“ Das ist anstrengend für beide Seiten. Aber es ist auch die stärkste Form der Unterstützung.

Nimm dir doch diese Woche bewusst vor, bei drei Situationen anders zu reagieren.

Was wird dein erster Schritt sein, um die Helferfalle zu verlassen?